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„Yogash citta–vritti–nirodhah: Yoga ist das zur Ruhe bringen der Wellen des Geistes“ (Patanjali, Yoga Sutra 1.2.)

Dieser Artikel stellt eine kleine Anleitung dar, welche Möglichkeiten dir zur Verfügung stehen, um eine depressive Episode abzumildern. In meiner Arbeit als Yogalehrerin und Sprach- und Stimmtherapeutin begegnen mir immer wieder Menschen, die unter einer Depression leiden und Hilfe im Yoga suchen (und meist auch finden). Yoga hält eine Vielzahl von Möglichkeiten für uns bereit, aber auch unser Alltag ist voll von Dingen, die akut die depressive Abwärtsspirale mindern oder aufhalten können. Ich schreibe den Artikel „per du“ und spreche dich persönlich an, weil ich einen Unterschied machen möchte zur wissenschaftlich-nüchternen Abhandlung über die Depression.

Die kleine Anleitung kann keinen medizinischen Rat darstellen und sie ersetzt auch keine professionelle therapeutische Behandlung. Dieser Text ist gedacht als liebevoller Begleiter in schwierigen Zeiten und soll Mut machen, sich in den einsamen Stunden mit liebendem Blick der eigenen Person zuzuwenden ohne sich dabei selbst unter Druck zu setzen.

Die Heilung der Beziehung zu dir selbst auf einer tieferen Ebene kann parallel zu den gängigen (auch schulmedizinischen) Behandlungsmöglichkeiten ablaufen.

Depression verstehen

Eine Depression wird definiert als eine affektive Störung (eine Stimmungsstörung) und kann unipolar (ausschließlich depressiv) oder bipolar (manisch-depressiv) auftreten. Im Folgenden geht es um die unipolare Depression. Diese ist gekennzeichnet durch

Hauptsymptome:

  • deprimierte Stimmung (Niedergeschlagenheit)
  • Freud- und Interessenlosigkeit
  • Energie-, Kraft- und Antriebslosigkeit

Zusatzsymptome:

  • körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Muskelverspannungen, Brustenge, Rückenschmerzen
  • Appetitlosigkeit
  • Schlaflosigkeit
  • Grübeln
  • Schuldgefühle
  • Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
  • Angst
  • Gefühl völliger Ausweglosigkeit
  • Suizidalität1

Es müssen nicht alle Symptome zeitgleich zutreffen.

Ursachen der Depression

Die Ursachen einer Depression sind vielfältig und sollen hier nur kurz angerissen werden. Früher ging man davon aus, dass bei Depressionen der Hirnstoffwechsel gestört ist und die Neurotransmitter Serotonin und/oder Noradrenalin in falscher Konzentration vorliegen. Es soll dadurch zu einer fehlerhaften Kommunikation der Nervenzellen kommen. Diese „Serotonin-Mangel“-Hypothese konnte aber bisher nicht ausreichend bewiesen werden, so dass sie mittlerweile als „widerlegter Mythos“ gilt. Serotonin wird im Volksmund als das „Glückshormon“ bezeichnet und hat tatsächlich ziemlich vielfältige Aufgaben. Es gibt allerdings keinen Nachweis dafür, dass ein chemisches Ungleichgewicht für die Depression zuständig ist. Die Ursachen sind wahrscheinlich ganzkörperlich zu betrachten, also in dem Körper zu lokalisieren, in dem das „depressive Gehirn“ zu Hause ist. Hier ist z.B. an Nährstoffmängel oder Entzündungen im Körper zu denken. Neuere Theorien zielen auf die Darm-Gehirn-Achse ab, und geben den Hibnweis, dass es keinen Sinn macht, „mit dem Kopf zum einem und dem Körper zum anderen Arzt“ zu gehen (Katherine Dyckmans).  Weitere Ursachen sind natürlich auch im sozialen Umfeld zu finden, allerdings kann nur sehr selten ein direkter Auslöser in der Gegenwart ausgemacht werden. Sehr häufig liegen einer Depression ungünstige und negative Glaubenssätze zugrunde und eine Neigung zum Zweckpessimismus, eine „Gewohnheit“ stets negativ zu denken oder davon auszugehen, dass das Leben generell schlecht ist, um vor negativen Ereignissen vermeintlich gewappnet zu sein (Klaus Bernhardt). Diese Glaubenssätze können durch Umstände in unserem gegenwärtigen Leben durch ausgetretene „Negativ-Denk-Pfade“ immer wieder reaktiviert werden und relativ schnell in eine negative Gedankenspirale führen (s. Kindheit und Gegenwart).

Die kleinen Schritte aus der Starre

„Yoga beginnt dort, wo ein Mensch bemerkt, daß er sich unglücklich und unfrei fühlt, und den Wunsch hat, etwas zu tun, um diesen Zustand zu verändern.“2

1. Schritt: Das Eingeständnis

Meist dauert es eine Weile, bis mensch sich eingestehen kann, dass das eigene Empfinden nicht mehr „normal“ und das Stimmungstief nicht vorübergehender Natur ist. Wie im oben stehenden Zitat aus den Kommentaren des Yoga Sutra ersichtlich wird, beginnt hier – bei der Bewusstwerdung-  der Weg des Yoga. Durch das Bemerken, das etwas nicht stimmt, und – wie noch hinzugefügt wird, der Wunsch, daran etwas zu ändern. In depressiven Episode gestaltet sich das Eingeständnis schwieriger, dennoch ist es für die Heilung unabdingbar, sich des Ungleichgewichtes bewusst zu werden. Der erste Schritt in Richtung Heilung ist immer die Bewusstwerdung. Fällt es dir schwer, diese erste Hürde zu nehmen und dich selbst als depressiv zu bezeichnen? Der Verstand, das Ego, schreit laut „Nein, ICH habe keine Depression“. Meist rührt die Weigerung, den Ist-Zustand klar zu benennen, aus einem falschen Verständnis her, was eine Depression eigentlich ist.

Es ist keine Gemütsschwäche oder eine persönliche Schuld, eine Depression ist kein Zeichen für Versagen oder weniger Wertsein als andere. Manche Menschen haben eine Disposition für Depressionen, andere sind besonders sensibel oder tragen eine (seelische) Last seit Kindheitstagen mit sich herum. Unsere heutige Gesellschaft ist nicht darauf ausgelegt, Sensibilität und Verletzlichkeit als nützliche Eigenschaften anzuerkennen. Eine Depression ist eine körperliche sowie eine seelische Erkrankung, die dich über Umwege dazu auffordert, besser auf dich zu achten, dich selbst besser kennenzulernen und deinen eigenen Wert, unabhängig von äußeren Umständen, nicht in Frage zu stellen, sondern ihn zu erkennen und zu pflegen. Eine Depression ist keine faule Ausrede, sondern eine ernstzunehmende Erkrankung, in der sich die Botschaft verstecken kann, dich selbst so anzunehmen, wie du bist.

Verurteile dich nicht für deine Art zu sein und verurteile dich nicht für die Depression. Niemand hat Schuld an seiner Depression. Häufig ist das Annehmen schon eine Loslösung von den negativen Gedanken. Du musst deine Depression nicht lieben, aber du solltest sie als temporären Begleiter akzeptieren. Wenn du wegläufst, läuft die Depression leider sehr ausdauernd neben dir her. Hole dir in jedem Fall ärztliche und/oder therapeutische Unterstützung. Bei einer schweren oder schwersten  Depression könnte eventuell über zusätzliche Einnahme von Medikamenten gemeinsam mit deinem Arzt nachdenken. Antidepressiva sind natürlich keine Schande, sie sollten aber nicjt als Das Allheilmittel betrachtet werden, für das sie die meiste Zeit galten. Antidepressive Medikamente stehen deiner kontinuierlichen Yogapraxis auf seelischer und körperlicher Ebene nicht im Weg. Sprich mit einer Fachperson darüber, was das Richtige für dich ist, wenn du aus eigener Kraft keine Entscheidung treffen kannst oder magst.

2. Schritt: Den inneren Kampf stoppen

In einer Depression kommt es häufig zu kreisenden Gedanken und Grübeln. Vielleicht kennst du diese innere Stimme, die einem Antreiber gleich dich stetig aus deiner Komfortzone lockt und dir neue Erfahrungen ermöglicht. In manchen Zeiten nimmt diese antreibende Stimme aber überhand und wird garstig. Du musst nicht immer funktionieren und wie ein Steh-auf-Männchen jedem Schicksalsschlag trotzen. Die heutige Gesellschaft ist eindeutig ein Freund von Leistung und guter Laune – dagegen ist nichts einzuwenden. Aber irgendwann ist es auch mal genug. Gerade Menschen mit depressiver Neigung treiben sich zu ungesunden Höchstleistungen an und quälen sich mit der Zerrissenheit des gefühlten „Ich kann nicht mehr“ und dem „Ich muss aber“. Finde Abstand zu den „Ich muss“- und „Ich sollte besser“- Gedanken. Den Antreiber stoppen: dieser Schritt ist so wichtig und dennoch schwer. Treibst du das innere Antreiben zu weit, kommt irgendwann der totale Kollaps. Dein System streikt. Erlaube dir, weniger zu leisten und übe dich im Sein und nicht im ständigen Handeln. Du brauchst deine liebevolle Zuwendung, keine innere Schelte.

Es kann sein, dass du in Aktionismus verfällst und alles mögliche probierst, um schnell und effizient den depressiven Zustand zu verlassen. Leider funktioniert die Seele aber nicht auf diese Weise. Dein innerer Antreiber mag dir weiterhin zurufen, was du alles tun und erledigen solltest und das ein Tag nur dann ein guter Tag ist, wenn du mindestens dies oder jenes erfolgreich erledigt hast. In gewissen Lebensphasen ist es durchaus wichtig, einen munteren inneren Antreiber zu haben. Allerdings sollte dieser in Phasen der Depression (oder kurz davor), das Ruder aus der Hand geben, damit du den Kampf gegen dich selbst beenden kannst.

Im zweiten Kapitel des oben bereits erwähnten Yoga Sutra von Patanjali3 werden fünf Kräfte unseres Geistes genannt, die uns Leid verursachen. Auch hier wird Bezug darauf genommen, dass das, was wir denken, nicht der Wahrheit entspricht und unsere Gedanken ein Produkt unserer individuellen Prägungen sind. Im Beitrag Kindheit und Gegenwart findest du mehr dazu.

3. Schritt: Aus einer Depression kann man sich nicht heraus denken

Im Gegenteil – je mehr wir denken, desto intensiver wird die Gedankenspirale. Der aus dem Lot geratene Hirnstoffwechsel lässt sich nicht durch grübeln umstrukturieren und die Probleme, die dein Verstand schon seit Tagen oder gar Wochen wälzt, werden wahrscheinlich auch nicht durch noch intensiveres Nachdenken gelöst. Du darfst dir die Erlaubnis geben, deine negativen Gedanken beiseite zu schieben. Du bist wertvoll, Du bist genug, Du hast Glücklichsein und Liebe verdient. Was an die Stelle des Denkens treten kann, findest du weiter unten in der „Liste der Dinge, die besser sind als grübeln“.

Du brauchst momentan nicht den Anspruch an dich haben, die negativen Gedanken schleunigst durch positive ersetzen zu müssen und dich dann dadurch unter Druck setzen, weil es dir vielleicht nicht gelingt oder sich einfach steif und unauthentisch anfühlt. Du brauchst jetzt noch nichts zu bearbeiten. Momentan steht im Vordergrund, die negative Spirale zu unterbrechen und durchzuatmen. Wenn du dich mit der Zeit besser und stabiler fühlst, gibt es viele schöne Methoden (auch yogische), um dich neu zu ordnen (z.B. hier Kindheit und Gegenwart oder hier Freiheit und Gedanken).

4. Schritt: Erlaube dir, zu sein

Verbinde dich mit deiner Intuition. Was tut Dir eigentlich wirklich gut? Da es in einer depressiven Phase manchmal schwer bis unmöglich ist, sich ablenkende Aktivitäten auszudenken, ist es ratsam, in guten und stabilen Zeiten eine Auswahl an Dingen zu treffen, die Du jetzt ohne viel Aufwand für Dich tun kannst. Und hier lass Dir gesagt sein: setz dich nicht unter Druck. Wenn dir momentan nichts einfällt, dann frag einen Freund oder eine Freundin oder schau in die unten stehende Liste. Nichts ist zu seicht oder trivial. Alles, was dir nicht schadet und dich Schritt für Schritt aus den negativen Gedanken herausholt, darfst du nun sooft du magst und so ausgiebig, wie du magst, praktizieren. Das ist Selbstwirksamkeit.

Liste von Dingen, die besser sind als grübeln:

  • Yoga – Atem – Meditation
  • Höre auf dein Bauchgefühl
  • Früher aufstehen
  • Sauna und Dampfbad
  • Gönne dir Ablenkung
  • Lobe dich selbst
  •  Yoga – Atem – Meditation

Am besten suchst du dir bei dir in der Nähe einen Yogakurs oder wende dich an eine/n Yogalehrer/in deiner Wahl und bitte um Unterstützung. Probiere aus, was du in diesem Moment brauchst. Das kann mal eine sanfte, mal eine schweißtreibende Sequenz sein, die das Gedankenkarussell stoppt oder dir ein besseres (Körper-)Gefühl gibt. Es ist in jedem Fall ratsam, zu deinem psychischen Zustand zu stehen und deine Bedürfnisse und die deines Körpers ernst zu nehmen. Lass dir nichts einreden!

Erfahrungsgemäß bessert sich die Depression bei moderater Bewegung kombiniert mit Atemübungen und/oder Meditation, aber du solltest selbst die Intensität bestimmen. Die Yogamatte kann dein sicheres Terrain sein, auf der nur du das Sagen hast. Probiere dich in sanften Bewegungen in deinem Rhythmus, moderate Rückbeugen und Standhaltungen eignen sich sehr gut um durchatmen zu können und gleichzeitig Stabilität zu erfahren. Es gibt auch im Internet zahlreiche Plattformen, auf denen gut ausgebildete Yogalehrer online-Kurse anbieten, falls du lieber zu Hause üben möchtest. Ich empfehle dir eine Kombination aus Kursen in einem Studio und einer eigenen Yogapraxis zu Hause.

Nach achtsamer Bewegung bietet es sich an, eine kleine Meditation zu praktizieren. Überfordere dich auch hier nicht und verfalle nicht in Perfektionswahn, sondern räume dir jeden Tag ein paar Minuten Zeit ein, um dich an einen Ort deiner Wahl zu begeben und ein paar Minuten in Stille zu verbringen. Es gibt unglaublich viele verschiedene Methoden, von vorgegebenen Sets mit Mantren, Armhaltungen und Augenausrichtung (besonders ausgeprägt in der Tradition des Kundalini-Yogas zu finden4), über gesprochene Visualisierungen bis zur Achtsamkeitsmeditation.

Hier soll die Achtsamkeitsmeditation in Anlehnung an Jon Kabat Zinn sowie eine kleine Atemmeditation vorgestellt werden.

„Ein großer Schritt zum Ankommen im eigenen Leben ist die Erkenntnis, dass wir unsere Gedanken nicht persönlich nehmen müssen – egal, ob sie gut, schlecht oder hässlich sind.“ (Jon Kabat Zinn)

Setze dich in eine bequeme, aufrechte Sitzposition und sorge dafür, dass du in den nächsten Minuten ungestört bist.

In der Achtsamkeitsmeditation kannst du trainieren, dich nicht mit deinen quälenden Gedanken und Gefühlen zu identifizieren, sondern diese von einer neutralen Position zu beobachten. Deine Gedanken werden dabei von dir nicht gewertet oder analysiert, sondern lediglich wahrgenommen und beobachtet. Dazu dient dir, das Beobachtete nur zu benennen. Wenn dir ein körperliches Phänomen auffällt, dann sage dir dazu in Gedanken (z.B.): „Da sind Schmerzen im Rücken“ und nicht „Mein Rücken schmerzt“. Dadurch soll die Identifikation mit dem Schmerz gelöst werden. Ebenso verfährst du mit Gedanken und Gefühlen. „Da ist ein Gedanke an meine Arbeit…meine Familie…meine Freundin…“ oder „Da ist Angst, Trauer, Langeweile, Aggression, …“. Mache weder deine körperlichen Empfindungen, noch deine Gedanken oder Gefühle zur alles beherrschenden Qualität in deinem Leben. Du bist hier und da ist die Traurigkeit oder ein bedrückender Gedanke. Je mehr Abstand du zu Gefühlen und Gedanken findest, desto besser kannst du aus der neutralen Perspektive auf deine Empfindungen schauen und zu einem anderen Zeitpunkt entscheiden, welches Gefühl oder welchen Gedanken du beispielsweise verfolgen möchtest. Das versetzt dich immer mehr dazu in die Lage, nicht alles zu glauben, was du denkst. Und das wiederum ist depressionshemmend. Um die Übung zu beenden atme ein paarmal tief durch und fühle nach, wie es dir jetzt geht.5

Eine weitere Meditationsvariante ist die Atemmeditation.

Nimm auch hier eine aufrechte und bequeme Sitzposition ein, in der du ein paar Minuten ausharren kannst. Schließe die Augen und spüre die Bewegungen deines Atems und lass dich von deinem Atem mit nach innen nehmen. Begleite deinen Atem innerlich mit den Worten „ein“ beim Einatmen und „aus“ beim Ausatmen. Dies hilft dir, deinen Geist zu fokussieren und ihn in gewisser Weise zu beschäftigen, da unser Verstand sonst dazu neigt, uns zu beschäftigen.

Nimm wahr, wie die Luft durch deine Nase in deinen Körper eintritt und somit zu deinem Einatem wird. Spüre, wie er entlang deines Rachens streicht und durch die Kehle in die Luftröhre und die Lungen tritt. Dein Oberbauch, die Flanken, der obere Rücken und der Brustkorb heben und wölben sich nach außen. Nach einer kurzen Weile geht der Weg wieder andersherum, du lässt deinen Einatem zu deinem Ausatem werden, Bauch, Flanken, Rücken und Brustkorb senken sich wieder, die Luft verlässt die Lungen durch den Kehlkopf und schließlich die Nasengänge, bis du die nun wärmere Luft des Ausatems an deinen Nasenlöchern spürst. Wiederhole dieses achtsame Atmen ein paar Minuten und wenn du genug hast, dann öffne nach einem Ausatmen deine Augen. Wenn deine Gedanken abdriften, dann helfe dir mit den Worten „ein“ beim Einatmen und „aus“ beim Ausatmen. Ebenso gut kannst du dir auch ein kleines Mantra sagen; „Ich nehme mich an“ oder „Ich bin ganz bei mir“.

Je feiner deine Beobachtung des Atemflusses ist, desto enger trittst du mit dir und deiner essentiellen Lebendigkeit in Beziehung. Und in einer Depression geht es darum die Beziehung zu dir selbst zu heilen und auf ein liebevolles Fundament zu stellen. Auch wenn du dich momentan nicht danach fühlst, dir selbst Liebe zu schenken, so behalte das im Hinterkopf: Selbstliebe und Selbstannahme ist der Weg, der dich letztendlich aus der Depression führt und dich dauerhaft stabiler macht.

  • Höre auf dein Bauchgefühl, anstatt auf deinen lauten Kopf

Da das Empfinden von angenehmen und unangenehmen äußeren Reizen immer sehr individuell ist und gerade in Phasen einer Depression nicht immer über die Zeit stabil bleibt, ist hier wieder deine Intuition gefragt. Meistens weißt du im Grunde genommen, was dir jetzt gut tun würde, aber dieses Wissen ist verschüttet, oder du traust dich nicht, es anzunehmen, weil dein denkender Verstand dir nicht erlaubt, die Hinweise deiner Intuition umzusetzen. Wenn du nicht in der lauten Kneipe sein willst, auch wenn dir alle dazu raten „unter Leute“ zu gehen, dann geh da nicht hin. Suche dir eine andere Beschäftigung, die dir in diesem Moment mehr zusagt. Wenn du nicht alleine sein magst, aber gerade niemand Zeit hat, auf dessen Gesellschaft du dich einlassen kannst, dann suche eine Situation in der Öffentlichkeit, die dich ablenkt, aber nicht überfordert (vielleicht gehst du spazieren, ins Museum oder Kino).

Versuche, nicht in Extreme zu verfallen. Weder die asketische Berghöhle, eine Woche im Bett oder ein durchgefeiertes Wochenende heilen deine Depression, damit läufst du eher vor ihr Weg.

In einer depressiven Phase geht es eher darum, dass du die Wippe sanft wieder ausmittelst und dich nicht überforderst oder extreme Anstrengung von dir erwartest. Es sind die kleinen Schritte, die uns langfristig schützen, nicht der machtvolle Sprung. Also höre auf dein Bauchgefühl und meide Situationen und Personen, die dein Unbehagen vergrößern. Aber ziehe dich auch nicht allzu sehr zurück. Hier besteht die Gefahr, noch tiefer im Treibsand zu versinken. Stattdessen kannst du eines der folgenden Dinge ausprobieren:

  • Früher aufstehen

Vielleicht neigst du während einer depressiven Phase zum sehr lange Schlafen. Es kostet meist etwas Überwindung, aber früheres Aufstehen kann eine Depression bessern. Wenn du lange im Bett liegst ohne zu schlafen, können die Symptome des Grübelns, der Traurigkeit oder Verzweiflung wieder groß werden. Sehr langes Schlafen hemmt auch noch einmal mehr den Antrieb. Ein Spaziergang am Morgen oder Sport am Morgen können den vor dir liegenden Tag in ein anderes Licht tauchen. Außerdem hast du dann gleich einen Grund, aufzustehen. Am besten lässt du es auch hier sanft angehen und wählst eine Sportart, bei der du dich wohlfühlst. Natürlich zählt auch Yoga dazu. Wenn du ein Studio in deiner Nähe hast, das Morgenkurse anbietet, dann probiere diesen neuen Start in den Tag einmal aus.

  • Sauna und Dampfbad

Die Hitze der Sauna und die angenehme körperliche Erschöpfung können auch den Geist entspannen und die negativen Gedanken stoppen. Falls dir die Vorstellung angenehm ist, dann gib der Sauna eine Chance. Es geht nicht darum, durch den Saunabesuch „geheilt“ zu werden, sondern dass du es wert bist, schöne Dinge zu erleben, auch in Zeiten, in denen die Selbstablehnung sehr groß ist. Alles, was einen Moment die Depression mildert und dir nicht schadet, kann einen Schritt in Richtung Genesung darstellen. Wahrscheinlich neigst du dazu, dir die schönen Dinge des Lebens nicht selbst zu gestatten. Dann bedeutet, es trotzdem zu tun, eine Lektion in Sachen Selbstliebe und Selbstfürsorge gemeistert zu haben. Lass dir hier noch einmal gesagt sein, dass es jetzt nicht darum geht, die großen Probleme der Welt zu lösen, oder irgendwo wahnsinnig erfolgreich zu sein. Es ist jetzt vielmehr an der Zeit, dich selber mit einem liebenden (oder wenigstens wohlwollenden) Blick zu betrachten und geduldig deine Hand zu halten. Nichts bleibt für immer oder ist ewig gleich. Auch die depressive Phase geht vorüber. Vielleicht gelingt es dir mit der Zeit, dich in deinem ganzen Wesen so zu sehen und so anzunehmen, wie du bist.

  • Gönne dir Ablenkung

Wenn du grübelst und dich quälst, dann suche dir Ablenkung, die dich für den Moment im Hier und Jetzt sein lässt. Yoga praktizieren, die Wohnung putzen, Schränke ausmisten, gärtnern, etwas kochen oder backen können so eine Ablenkung darstellen. Wenn du sehr unter Antriebslosigkeit leidest, dann kannst du vielleicht einen verständnisvollen Freund oder eine verständnisvolle Freundin bitten, ein Projekt mit dir gemeinsam zu starten. Setz dich hier nicht unter Druck, irgendetwas schaffen zu müssen. Der Weg ist das Ziel.

  • Lobe dich selbst

Meist stellt eine große Hürde der mangelnde Antrieb da. Alles ist zäh und schwer. Zu jedem der oben aufgeführten Dinge musst du dich wahrscheinlich erst einmal überwinden. Aber hier die gute Nachricht: Ist diese Hürde genommen, wird es leichter und wahrscheinlich bessert sich deine Stimmung etwas. Also nimm dir kleine Dinge vor und sei stolz auf jeden (noch so winzigen) Schritt. Du darfst dein Bewertungssystem neu justieren.

Lobe dich für alles, was du dir vorgenommen und auch umgesetzt hast. Dafür, dass du aufgestanden bist, dich geduscht und dich angezogen hast. Für den Einkauf, für die Autofahrt, für das Telefonat. Was auch immer es ist, du kannst gar nicht detailliert genug deine vermeintlich alltäglichen Schritte hervorheben und loben. Das bessert dein Selbstbild und rückt dich wieder ins rechte Licht.

Vielleicht hilft dir der Vergleich mit einer anderen Krankheit. Wenn du dir ein Bein gebrochen hast, wirst du dich wahrscheinlich auch nicht täglich dafür fertig machen, dass du gerade kein flinker Tangotänzer bist und wirst dir dein Leben dann einfach temporär anders einrichten. Ähnlich solltest du in einer depressiven Phase mit dir umgehen. Die Depression wird durch deine Kraft und der Hilfe von Therapeuten oder anderen Personen vorübergehen – mach es dir nicht noch schwerer, als es schon ist.

Abschließend

Wenn die akuten Symptome gemildert sind und du das Gefühl hast, wieder du selbst zu sein, dann ist es an der Zeit, dir individuelle Strategien zu überlegen, wie du frühzeitig eine Depression erkennen und rechtzeitig stoppen kannst. Aber verurteile dich in keinem Fall selber, wenn du es nicht immer schaffst. Nimm dich selber wichtig und hole dir die Hilfe, die du brauchst.

Ein Einüben von Achtsamkeit (wie z.B. die oben beschriebene Achtsamkeitsmeditation) und eine ausgeglichene regelmäßige Yogapraxis unterstützen dich zu jeder Lebenszeit – ob stabil oder instabil – und verhelfen dir langfristig, Eigenverantwortung in jeder Lebensphase zu übernehmen. Insofern ist dieser Artikel nicht nur an Menschen mit Depressionen gerichtet, sondern an Jede und Jeden, der Selbstliebe etablieren und im eigenen Rhythmus zu leben lernen möchte.

Für jetzt und immer

Lutzi

1Vgl. Trökes, Anna: Yoga bei Depression, S.21 Herder 2017

2Patanjali: Über Freiheit und Meditation. Das Yoga Sutra des Patanjali, Übertragung und Kommentar von T.K.V. Desikachar, S. 56, vianova, 2016

3Patanjali: Über Freiheit und Meditation. Das Yoga Sutra des Patanjali, Übertragung und Kommentar von T.K.V. Desikachar, S. 58, vianova, 2016

4 s. dazu: Meditationen in schwierigen Zeiten, Kundalini Yoga Praxisbuch, Band 5,Yogi-Press 2017

5Vgl. Trökes, Anna: Yoga bei Depression, S.183ff Herder 2017